Am Sonntag feierten wir Ostara. Das astronomisch korrekte Datum wäre der 20. März, aber Sonntag ist einfach besser für diejenigen geeignet, die arbeiten müssen. Dieses Mal war der Mann einer Teilnehmerin mit dabei. Er hatte sich ziemlich spontan dazu entschieden und ich habe zugestimmt. Er ist ein freundlicher und offener Mensch, der vor einigen Jahren schon mal an einem Ritual teilgenommen hat. Es ist für mich ungewohnt, Männer dabei zu haben. Die Rituale, die ich gestalte, sind schon recht frauenzentriert. Ich schließe keine Männer aus, aber in der Regel sind sie nicht sonderlich interessiert. Vielleicht hat es auch damit zu tun, daß ich kein Interesse von ihnen erwarte.
Ich hatte mich kurzfristig für einen ganz neuen Platz auf einem Hügel inmitten einer großen Wiese entschieden, weil mir am Vorabend eingefallen war, daß mein Lieblingsplatz auf einer kleinen Halbinsel Wildschweinrevier ist. Ich fürchte mich nicht vor Wildschweinen und begegne auf meinen Gängen ab und zu welchen. Aber jetzt ist die Zeit, wo sie ihre Kinder zur Welt bringen und Wildschweinmütter können sehr unangenehm werden, wenn sie sich durch Menschen bedroht fühlen. Die große Wiese erwies sich als toller Platz. Wir feierten auf einem Hügel, von dem man rundum weit in die Landschaft sehen konnte. Direkt über uns stand der halbe zunehmende Mond und wir konnten der Sonne beim Untergehen genau im Westen zusehen.
Was schöne Plätze betrifft, verrate ich sie nicht an dieser Stelle. Wenn viele Menschen von schönen und interessanten Orten erfahren, dauert es oft nicht lange und sie werden verdorben durch diejenigen, die sich angezogen fühlen. Natürlich könnte man argumentieren, daß auch ich von schönen Plätzen durch andere erfahren habe – manche habe ich allerdings auch selbst entdeckt – aber ich übernehme Verantwortung für diese Fleckchen Erde, indem ich sie so gut ich kann beschütze. Kürzlich bekam ich eine Anfrage aus dem Nachbardorf, wo sich Bärlauch befindet. Bei mir im Garten wächst welcher, den ich vor einigen Jahren gepflanzt habe und der sich seitdem ausbreitet. Aber den brauche ich selber. Ich weiß im Umkreis keine Stelle, wo er wild wächst und wenn, dann würde ich sie nicht verraten sondern sagen: „Mach dich selber auf die Suche.“ Das krasseste Beispiel, wie ein Platz verdorben wurde, habe ich bei den Alignements von Carnac erlebt: Mitte der 80er Jahre war ich mit meinem damaligen Freund K. und meiner Tochter das erste Mal dort. Ich wusste bis dahin nichts von diesem Ort und habe es K., der aus Nordirland stammte, zu verdanken, daß ich ihn kennengelernt habe. Wir hatten dort ein magisches Erlebnis, das uns beide nachhaltig beeindruckt hat. Anfang der 90er war ich mit meiner Tochter noch einmal da und erlebte wieder etwas ganz Zauberhaftes. Bei beiden Besuchen war der Campingplatz, auf dem wir unser Zelt aufgebaut hatten, nur mäßig besucht und Carnac ein fast verschlafener Ort. Das dritte und letzte Mal war ich 1994 da. Mittlerweile schoben sich Menschenmassen durch den Ort, der Campingplatz war proppenvoll und dann stellte auch noch eine französische Familie ihr Zelt so dicht an meins, daß die Häringe sich berührten. Das Schlimmste aber waren die Metallzäune, mit denen man die Alignements von Ménec und Kermario umgeben hatte. Es gab auch ein neugebautes Museum an den Feldern mit den großen Menhiren. Man konnte die Alignements nur gegen Eintrittsgeld und in Gruppen besuchen. Die magische Atmosphäre war dahin; die großen Energien, die sich innerhalb dieser gigantischen Steinfelder bewegten, waren spürbar eingesperrt. Ich bin nie wieder dagewesen; für mich war dieser Ort, den ich so geliebt hatte, verdorben. Ähnliches ist mit Stonehenge in Südengland passiert, Und nachdem Hape Kerkeling ein Buch über seine Pilgerschaft auf dem Jakobsweg geschrieben hatte, wollten plötzlich alle dahin. Ich habe von Menschen gehört, die erzählten, es ginge dort mittlerweile wie auf dem Rummelplatz zu und Busladungen voller Chinesen trieben sich da mit ihren Kameras herum.
Gestern las ich von einer Frau, die in den Dolomiten Pilgertouren macht. Sie hat schöne Absichten, finde ich, und will der Erde etwas zurückgeben, nachdem Menschen seit langer Zeit von ihr immer nur nehmen. Aber ich befürchte, daß auch sie mit ihrer Arbeit den Massenandrang in den Alpen fördert.