Das Schöne und das Schreckliche

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Gestern Abend fuhren L. und ich nach Stodthagen, um an der Froschkonzert-Führung der Stiftung Naturschutz teilzunehmen. In der einsetzenden Dämmerung trafen sich ca. 90 Menschen auf dem Parkplatz am Waldrand. Mit so vielen hatte ich nicht gerechnet, aber es ist schön, daß immer mehr sich für die gefährdeten Wesen interessieren. Mir ging es um die Unken. Die habe ich das erste Mal vor Jahren in Meck-Pomm gehört und seitdem bin ich auf der Suche nach ihnen.

Die Stiftung Naturschutz hat in Stodthagen eine große ehemalige Ackerfläche aufgekauft und renaturiert, d. h. sie hat die notwendigen Bedingungen geschaffen, damit sich in den Senken in der Landschaft wieder Wasser sammeln kann. Und in den entstandenen Tümpeln hat man Rotbauchunken und Frösche ausgesetzt. Rotbauchunken können nicht in einer Landschaft überleben, die intensiv landwirtschaftlich genutzt und mit Dünger behandelt wird.  Außerdem brauchen sie Feuchtflächen.

Man führte uns auf die große Wiese, auf der auch Rinder grasen (wir sahen aber keine). Und da hörte ich sie schon – die Unken – mit ihren melancholischen Rufen, die so ans Herz gehen. Unsere Führerin fing einige, die wir uns in einem schmalen durchsichtigen mit Wasser gefüllten Gefäß ansehen konnten. Sie haben orangerote Flecken am Bauch. Sicher war es schön für die anwesenden Kinder, die Tiere so nah zu sehen. Mir taten sie leid, wie sie in dem schmalen Gefäß strampelten. Es wurde sehr viel geredet und erklärt, deshalb ging ich zum nächsten Tümpel, wohin die menschlichen Stimmen nur gedämpft drangen und ich ganz dem Gesang der Unkenmännchen lauschen konnte. Die Wiese war so, wie ich es aus meiner Kindheit kenne: ab und zu stand ein Weißdornbusch da, die Vegetation war vielfältig und es gab viel Jakobskreuzkraut, an dem sich keiner zu stören schien. Die Kühe fressen es nicht. Ob es hier noch Lerchen gibt? Es ist gut, daß es diese Menschen von der Stiftung Naturschutz gibt. Sie machen eine wichtige Arbeit.

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Heute machte ich einen Gang, um meinen nächsten Kräuterkurs vorzubereiten. An den Teichen traf ich auf einen Schwan, der sich beim Näherkommen als Singschwan zu erkennen gab. Im Schilf saß seine Gefährtin auf ihrem Nest. Also sind nach dem Winter einige nicht zurück nach Skandinavien gezogen. Vier Graureiher stießen laute Warnrufe aus. Ein Seeadler glitt mit seinen riesigen ausgebreiteten Flügeln knapp über das Wasser, drehte eine Kurve und flog dann in eine der alten Eichen. Es ist so schön hier, und ich entdecke immer wieder Neues. Im Belliner Moor versank ich mit einem Fuß im schwarzen Morast. Irgendwelche Tiere fühlten sich von mir gestört: ich hörte sie im Gebüsch laut schnauben und atmen, sie zeigten sich aber nicht und liefen auch nicht weg. Vielleicht waren es Wildschweine.

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Ilan hat uns von einer Prognose erzählt, die Wissenschaftler bei irgendeiner Konferenz in England geäußert haben: einige sagen voraus, daß in 7 Jahren kein Leben auf der Erde mehr möglich sein werde, andere geben uns noch 20 Jahre. Sie alle sind sich einig, daß die Menschheit aufwachen muss – und zwar jetzt. Ich denke, diese Prognosen haben mit den sogenannten Kipppunkten zu tun. Einer davon ist z. B. erreicht, wenn die Permafrostböden auftauen und dabei solch große Mengen CO2 in die Atmosphäre geben, daß ein Leben, wie wir es kennen, nicht mehr möglich ist. Dann stirbt innerhalb kürzester Zeit alles, was auf Atmung angewiesen ist.

Letztendlich weiß niemand, was passieren wird, und Wissenschaftler haben sich schon oft vertan. Dennoch wissen und ahnen wohl die meisten, daß es so nicht weitergehen kann. Frau Merkel hat sich in ihrer Rede in Harvard für den Klimaschutz stark gemacht. Es klang so, als sei sie schon immer die große Klimaschützerin gewesen. Offensichtlich hat das schlechte Abschneiden der CDU bei der Europawahl einigen Politikern die Stimmung verhagelt. Und Friday for Future und andere neue Bewegungen zeigen Wirkung. Gut so! In gewisser Weise erinnert mich das an den Beginn der Studentenbewegung 1967.

Ich möchte gern mit Menschen über das Thema der drohenden Auslöschung allen Lebens sprechen. Warum die menschliche Gattung sich wie der Krebs der Erde verhält. Sie war nicht immer so destruktiv, sie ist es erst seit ein paar Tausend Jahren. Aber wenn ich damit anfange, rede ich ins Leere. Es gibt keine Resonanz, das Thema wird gewechselt. In gewisser Weise verstehe ich das: es macht Angst, es ist schmerzhaft, es ist unerträglich. In der Astrologie sagt man, daß Skorpiongeborene diejenigen sind, die dahin sehen, wo andere wegsehen. Das scheint zu stimmen. Ich bin einfach nicht in der Lage wegzusehen, habe es noch nie gekonnt. Ich halte es auch nicht für wünschenswert, weil Wegsehen noch nie was besser gemacht hat.

Ilan hat den schönen Begriff „spirituelles Bypassing“ in diesem Zusammenhang erwähnt. Das ist das, was wir machen, wenn wir Sätze sagen wie: „Es hat alles einen tieferen Sinn.“ Auch ich habe schon solche Sätze gesagt. Sie sollen den Schmerz niederhalten. Aber der Schmerz muss gefühlt werden, in aller Deutlichkeit, sonst wird sich gar nichts verändern. Ebenso die Wut, die Verzweiflung, das Entsetzen. Wir leben in einer Kultur, die heftige Gefühle unterm Deckel hält, gern mit Medikamenten, Drogen und Alkohol. Was kann ich tun? Egal wieviel Zeit wir noch haben: ich werde alles tun, um jetzt so gut und ekstatisch zu leben, wie es mir möglich ist. Und wenn es soweit ist, will ich auch ekstatisch sterben. Ich liebe einfach das Lebendige so sehr!

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