Das Abschluss-Foto von unserem Streik: rechts mit dem blauen Schild bin ich.
Nach dem Frühdienst ging ich heute zu einer Veranstaltung von den Naturfreunden Deutschlands und Bioland. Ich bin seit fast einem Jahr mit der Vorsitzenden der Naturfreunde, Dr. Ina Walenda, im Gespräch wegen einer Veranstaltung gegen Pestizideinsatz in Lammershagen. Daß ich bis jetzt nicht weit gekommen bin, liegt auf keinen Fall an Frau Walenda, die mir in einigen Telefonaten ihre Unterstützung zugesichert hat. Es ist irgendwie vertrackt: ich stoße nicht auf offene Ablehnung, aber es geht auch nicht weiter, als ob dieses Thema nicht wirklich interessiert. Leider bestätigt das mal wieder, daß Politik aus Dicke-Bretter-Bohren besteht.
Bei der heutigen Veranstaltung war auch der Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, der Grüne Jan Philipp Albrecht anwesend. Er trug die Pläne der Landesregierung in gleichförmigem Tonfall und typischem Politikersprech vor, so dass ich mich nach wenigen Sätzen mit meiner Aufmerksamkeit verabschiedete und mich stattdessen im Publikum umsah. Ich entdeckte einen Mann, der mir vor elf Jahren kurz nach der Trennung von J. sein Interesse geschenkt hatte. Wir hatten durchaus gemeinsame Themen, trotzdem konnte ich mich nicht auf ihn einlassen und beendete damals den Kontakt. Damit habe ich ihn verletzt, was mir leid tat. Ich überlegte, ob ich nach der Veranstaltung die Flucht nach vorn antreten und ihn freundlich begrüßen sollte. Ein Mann aus meinem Imkerverein sprach für das Netzwerk Blühende Landschaft. Was er sagte, gefiel mir. Der Toxikologe Dr. Peter Clausing sprach zum Thema Pestizide schädigen unsere Gesundheit. So erfuhr ich, daß Pestizide nicht nur mit Krebs in Verbindung gebracht werden, sondern auch mit der Zunahme von Morbus Parkinson und hormonellen Störungen.
Es waren viele Bauern bei der Veranstaltung und zu Wort meldeten sich vor allem solche, die Pestizide einsetzen (sie nennen sie euphemistisch Pflanzenschutzmittel) und sich als konventionelle Landwirte bezeichnen. Klaus Peter Lucht vom Bauernverband S-H sprach sogar von traditioneller Landwirtschaft. Aber diese Bezeichnungen sind sowas von falsch: die echten traditionellen bzw. konventionellen Landwirte sind diejenigen, die Jahrhunderte lang ohne Gift, kleinteilig, weitgehend selbstversorgend und regional gearbeitet haben. Ansatzweise habe ich diese Bauern noch in meiner Kindheit gekannt. Als Herr Lucht dann sagte, daß man Überschüsse beim Weizenanbau natürlich auch nach Nordafrika und Vietnam exportierte, weil man ja schließlich Profit machen müsse (es klang ein wenig an, daß man damit nebenbei auch den Hunger der Welt bekämpfte), wurde ich sehr wütend. Monika Friebl vom Netzwerk Öko-Landbau sagte dann: „Das finde ich doof“ und bekam dafür viel Beifall. Ich hatte leider keine Gelegenheit zu sagen, daß er mit seinen Getreideexporten dazu beiträgt, die nordafrikanische und vietnamesische Landwirtschaft zu zerstören, weil die dortigen Bauern mit den europäischen Dumpingpreisen nicht mithalten können.
Dann ging mir alles nur noch auf den Geist. Ich verstehe die Bauern nicht. Klar, sie stehen wirtschaftlich unter Druck. Aber sie müssen doch sehen, daß es immer schlimmer wird: mit dem Humusschwund, mit dem Artenschwund, mit dem Insektensterben, mit den Giften, die sie, uns und alle Wesen krank machen und unsere Lebensgrundlagen vernichten. Wie kann man so immer weiter machen? Ich begreife es einfach nicht. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte laut geschrien: „Ich esse seit vielen Jahren zu über neunzig Prozent biologisch hergestellte Lebensmittel, obwohl ich absolut kein üppiges Gehalt bekomme. Das ist möglich, weil ich meine Prioritäten anders setze als diejenigen, die bei Aldi Hähnchenfleisch kaufen, das billiger als Gemüse ist. Wenn ganz viele das täten, hätte sich die sogenannte konventionelle Landwirtschaft erledigt.“ Ich stand tatsächlich auf, aber um zu gehen. Nein, solche Veranstaltungen sind nichts für mich. Wahrscheinlich stimmt es, daß man die Bauern nicht so ruppig anfassen darf und mit ihnen reden muss, um irgendwann mal zu einem Konsens zu kommen. Aber dafür bin ich nicht die Richtige. Ich bin einfach zu wütend über die Zustände um mich herum.
Vielleicht sollte ich in meinem nächsten Leben als Katze auf die Welt kommen.