Alles ist so schön jetzt: der Mai zeigt sich mit seiner ganzen Fülle und im Garten wuchern die Beete zu, die ich noch nicht bearbeiten konnte. Wie jedes Jahr fehlt mir einfach die Zeit, all das zu machen, was ich gern möchte. Die Zeit, die Blütenpracht zu bewundern, den Schwalben bei ihren schnellen Flügen zuzusehen und mich an ihrem Zwitschern zu freuen, die nehme ich mir allemal.
Mir gefällt Luisa Francias Blogbeitrag vom 7.5. zum Thema Werte, die Minister Dobrindt den Flüchtlingskindern vermitteln möchte, sehr gut: http://www.salamandra.de/tagebuch/start.php
Überhaupt: was sind denn Werte? Ich bezweifle, daß z. B. geflüchtete Menschen aus islamischen Ländern grundsätzlich andere Werte haben als Europäer. Ich lese gerade das Buch Das wiedergefundene Licht von Jacques Lusseyran, der als Achtjähriger erblindete, als Gymnasiast während der Besatzung Frankreichs durch die Nazis Angehöriger der Résistance wurde und mit neunzehn Jahren ins KZ Buchenwald deportiert wurde. Er hat es überlebt und beschreibt sein Leben bis zu diesem Zeitpunkt. Er schreibt sehr reflektiert und es wird deutlich, daß er kein Nationalist ist, sondern daß sein Antrieb, der Naziherrschaft Widerstand entgegenzusetzen, aus der erschreckenden Erkenntnis stammt, daß der Nationalsozialismus eine Seuche ist, deren Verbreitung gestoppt werden muss. Seine persönlichen Werte sind nichts von außen Kommendes sondern entstehen aus seinen Erfahrungen heraus. Und da sie aus der Tiefe seines Seins stammen, diesem Ort, den – so bin ich überzeugt – jeder und jede in sich hat und an dem wir unsere persönliche Wahrheit erfahren, hat er auch die Kraft, diese Wahrheit zu leben.
Das ist etwas ganz anderes als die vermeintlichen Werte des Herrn Dobrindt, die christlichen Kreuze des Herrn Söder und das „Heimatmuseum“ des Herrn Seehofer. Übrigens: wenn jetzt wieder Kruzifixe in den bayrischen öffentlichen Einrichtungen aufgehängt werden, dann müssen konsequenterweise auch andere religiöse Symbole legitim sein, z. B. das umstrittene Kopftuch muslimischer Frauen. Gleiches Recht für alle – das wäre auch ein Wert.
Gestern fuhr ich mit drei anderen Flüchtlingshelfer*innen nach Kiel zum Flüchtlingsrat. Wir wollten uns eigentlich Unterstützung für eine öffentlichkeitswirksame Aktion wegen der negativen Asylbescheide für einige Familien in Selent holen. Wir hatten auch die kopierten Bescheide und Protokolle der Anhörungen mitgenommen – mit dem Einverständnis der Betroffenen. Ein sehr kompetenter junger Mann nahm sich zwei Stunden Zeit für unser Anliegen und erwies sich wirklich als guter Ratgeber. Er bestätigte meinen Verdacht, daß seit der letzten Bundestagswahl die CDU die Politik der AfD macht und deshalb seitdem kaum ein Mensch aus Afghanistan mehr einen positiven Bescheid bekommt. Dennoch haben unsere afghanischen Familien sehr gute Chancen mit ihren Widersprüchen durchzukommen. Jedenfall fuhren wir richtig fröhlich wieder nach Hause und werden in den nächsten Tagen den Betroffenen die gute Nachricht überbringen.
Jacques Lusseyran beschreibt in seinem Buch auch, wie die deutschen Besatzer mit den Franzosen umgegangen sind. Ich habe mich früher bei meinen vielen Frankreichurlauben oft geärgert, wenn ich mitbekam, daß man mich als „boche“ bezeichnete. Aber mittlerweile kann ich ein wenig den Zorn der Franzosen auf die Deutschen verstehen.
Stolz auf meine Nationalität ist mir sowas von fremd. Aber als im Sommer 2015 die große Flüchtlingswelle nach Deutschland schwappte und ich diese große und völlig überraschende Hilfsbereitschaft erlebte, da konnte ich zum ersten Mal in meinem Leben so etwas wie Einverstandensein mit meiner Nationalität fühlen. Und ich finde, wenn wir etwas aus unserer Nazivergangenheit lernen können, dann ist es die Einsicht in die Notwendigkeit, Menschen zu helfen, die in ihren Ländern nicht mehr leben können, weil sie von Tod und Verderben bedroht sind.
Na immerhin hat das Land Schleswig-Holstein erklärt, daß es bei den Ankerzentren von Herrn Seehofer nicht mitmachen wird. Das ist schon mal eine gute Nachricht.